Anneliese Mayer, geboren 1957, wuchs in dem bayerischen Dorf Ebersbach in der Nähe von Neu-Ulm auf und lebt heute in Marburg. Seit ihrer Geburt hat sie eine spastische Lähmung. Von Jugend an engagierte sie sich in Behinderteninitiativen, war Mitorganisatorin des Krüppeltribunals 1981 und wurde nach dem Studium der Sozialarbeit Koordinatorin bei der Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Arbeitskreise (AG SPAK). In Marburg arbeitete sie ab 1992 beim ambulanten Dienst des Vereins zur Förderung der Inklusion behinderter Menschen (fib e.V.). Seit 2014 ist sie Lehrbeauftragte an der Evangelischen Hochschule Darmstadt für Studierende der Sozialen Arbeit. Sie setzt sich besonders für behinderte Frauen mit Gewalterfahrungen ein und publiziert Portraits berühmter behinderter Frauen.
Besonders war für mich auf jeden Fall das „UNO-Jahr der Behinderten“. Das ging schon mit der Bühnenbesetzung los, im Januar 1981. Da habe ich zum ersten Mal miterlebt, wie behinderte Menschen ihre eigenen Interessen deutlich äußern und aufzeigen, mit welchen Diskriminierungen sie tagtäglich zu tun haben. Beim Krüppeltribunal war dann klar, dass viele eine Karriere in Sondereinrichtungen hinter sich hatten und die ganzen Menschenrechtsverletzungen, die sie erleben mussten, nun offenlegen konnten. Auch diese Pseudo-Freundlichkeit der Nichtbehinderten wurde thematisiert. Das hat mich alles sehr beeindruckt. Es wurde ja immer klarer: Wir müssen gegen die stattfindenden Diskriminierungen etwas Neues entwickeln, um uns als wertvolle Menschen fühlen zu können.
Für mich war Gewalt gegen behinderte Frauen auch persönlich ein wichtiges Thema. Die Gewalt, die ich meiner Kindheit durch Ärzte oder Therapeuten erlebt habe oder auch durch meinen Vater, hat mich sehr geprägt. Ich musste als Kind auch immer fast nackt, nur mit Unterhose, vor den Ärzten auf- und ablaufen. Das ist für mich etwas Entwürdigendes gewesen, wie die Experten damals über mich geredet haben, u.a. über mein Gangbild. Im Heim gab es die strikte Trennung von Mädchen und Jungen...Ich habe dort mitbekommen, wie ein Mädchen von siebzehn Jahren sich einem Jungen im selben Alter, der im Rollstuhl saß, auf den Schoß gesetzt hatte – etwas, was wir heute als völlig unproblematisch empfinden würden. Aber das Mädchen wurde damals aus dem Heim verwiesen. Das war für mich sehr prägend, dass auch nur Berührungen zwischen Mädchen und Jungen im Heim ein Tabuthema waren. Wir haben uns aber trotzdem nachts unten im Keller getroffen. Solche Dinge haben mich immer wieder daran erinnert, dass Behinderung oder die Festlegung auf Behinderung vieles beinhaltet, was dann nicht mehr normal ist. Was nichtbehinderte Jugendliche selbstverständlich machen dürfen, dürfen behinderte Jugendliche, vor allem Mädchen, noch lange nicht machen.
Mein Leben liebe ich. Für mich ist dieses Leben das einzige, das ich habe und das sehr, sehr wertvoll ist, das ich beschützen muss. Das ist das Wichtigste für mich. Auch wenn ich manchmal niedergeschlagen bin und mutlos, dann sage ich mir immer: Das ist das Wichtigste im Leben, dass du das Leben hast.
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Dieses Interview wurde geführt von Andreas Brüning.