Ralph Raule wurde 1966 in Wiesbaden geboren und ist Sozialunternehmer und Behindertenpolitiker. Infolge einer Erkrankung in seiner Kindheit wurde er gehörlos und besuchte eine Gehörlosen- und Schwerhörigen-Schule. Nach dem Abitur machte er zunächst eine Ausbildung zum Diplom-Kaufmann und studierte dann an der Universität Mainz und der Fern-Universität Hagen Betriebswirtschaftslehre. Seit der Mitgründung des im Sinne inklusiver Arbeitsmarktpolitik geführten Sozialunternehmens Gebärdenwerk GmbH (‚Die Spezialisten für Gebärdensprache‘) 2003 setzt er sich für die Verbreitung der Gebärdensprache und das Recht hörbehinderter Menschen auf Gebärdendolmetscher ein. Darin sieht er die Voraussetzung für eine verbesserte Kommunikationsfähigkeit und folglich mehr Bildung und Teilhabe hörbehinderter Menschen. Seinen Forderungen kann er seit 2005 als Schatzmeister der Deutschen Gehörlosen-Bunds e.V. (DGB) und seit 2012 als Vorsitzender des Gebärdenverbands Hamburg noch mehr Nachdruck verleihen. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

Ich weiß nicht, wie es für mich gewesen wäre, wenn ich ältere Geschwister gehabt hätte, die sich um mich „gekümmert“ und alles für mich gemacht hätten. Vielleicht wäre ich dann auch so geworden, wie ich viele (hör)behinderte Menschen wahrnehme: anfangs oft „verwöhnt“ und dadurch sehr unselbständig und abhängig.

Dieser permanente innere Kampf führte letztlich dazu, dass ich mich zuweilen zurückgezogen oder mich dorthin gewendet habe, wo ich sichere und entspannte Kommunikation genießen konnte. Für mich war diese Erkenntnis der Weg in die Gemeinschaft und Kultur der Gehörlosen. Dort habe ich erstmals erlebt, wie ich entspannt und zweifelsfrei kommunizieren konnte und dass es eine perfekte Kommunikation, wie ich sie sonst nur bei Hörenden sehe, auch für mich geben kann. Es ist aber nicht diese Erkenntnis allein, die mich zu gehörlosen Menschen hinzieht. Es ist auch ein großartiges Gefühl, Teil einer weltumspannenden und wunderbaren Gemeinschaft zu sein.

Denn grundsätzlich müssen wir davon ausgehen, dass in unserer Gesellschaft viele Menschen kaum etwas von Hörbehinderung wissen. Es ist ja eine Kommunikationsbehinderung, und das bedeutet: Von anderen erfahre ich relativ wenig und kann nicht selbst und direkt mit ihnen kommunizieren. Hinzu kommt die Schriftsprach-Problematik: Viele Hörbehinderte sind nicht gut in der Schriftsprache. Sie wissen das und äußern sich deshalb auch wenig schriftlich. Das bedeutet, sie beteiligen sich in vielen Bereichen nicht. Das ist mit ein Grund, warum Gehörlose praktisch in ihrer eigenen Welt bleiben, wo sie die Barrieren nicht so stark wahrnehmen.

So lange noch das medizinische Modell vorherrscht und deshalb vorzugsweise in technische Anwendungen wie das Cochlea-Implantat investiert wird, werden der gebärdensprachlichen Forschung wichtige Mittel vorenthalten. Ich finde diese einseitige Sichtweise mehr als ärgerlich, auch weil ich weiß, dass es mit der Gebärdensprache viele andere Vorteile gibt.

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